Der denkmalgeschützte Innenraum der Hedwigskathedrale, 1963 von Prof. Hans Schwippert geschaffen, seit 2018 geschlossen und im Zuge eines Radikalumbaus in Verantwortung von Erzbischof Koch zerstört.

Sonntag, 27. Juli 2014

Treppe aus Liliput zur Taufkapelle - ein Scherz ?

Beim Entwurf des Wettbewerbssiegers ist die Treppe zur Unterkirche nicht begehbar.

Es wurde eine Treppe dargestellt, deren Kopfhöhe ca. 1,90 m beträgt. Das wäre selbst in vermieteten Wohnhäusern nicht genehmigungsfähig, weil die Begehung eine Verletzungsgefahr für den Kopf darstellt. Man schüttelt verwundert denselben und fragt sich, ob nicht ein Missverständnis vorliegt. Schließlich handelt es sich um den mit dem ersten Preis prämierten Beitrag zu einem offenen Realisierungswettbewerb.

Deshalb ist der Sachverhalt zunächst einmal sachlich zu prüfen.
In den zum Wettbewerb offiziell ausgestellten Schnitten sind die Treppen exakt dargestellt.


Orgelempore, Chortreppe und Treppe zur Taufkapelle _Detail aus dem Längsschnitt des Beitrags des Wettbewerbssiegers
Das Erdgeschoss als Bezugsebene ist von der Eingangshalle bis zum Hauptkuppelraum niveaugleich. Die Oberkante des Kellergeschossbodens liegt 3,35 m unter dieser Ebene.
Eine einläufige Treppe mit 19 Steigungen soll den Abgang zur Taufkapelle bilden. Die sich ergebende Steigungshöhe der Einzelstufen betrüge 17,6 cm. Bei einer dazu erforderlichen Auftrittsbreite von nur 28 cm ergäbe sich eine recht steile Treppe, die ohne jegliches Zwischenpodest zu begehen wäre. Derartige Treppen kennt man vom Mietwohnungsbau, allerdings wird selbst dort kaum auf ein zwischengelagertes Postest verzichtet, das die Begehung erleichtert und Stolpergefahr reduziert.
Fazit: Treppenabgang ist sehr steil und ohne Zwischenpodest unbequem

Treppenantritt neben der Taufkapelle zum Aufgang in das Foyer _Ausschnitt aus dem Grundriss des Untergeschosses 

Die Treppe wird oberhalb durch den massiven Podestaufbau für den Chor begrenzt.
Im Erdgeschossgrundriss und im Querschnitt Nord sind drei vierstufige Treppenabschnitte dargestellt, die die drei Chorpodeste miteinander verbinden. Die Abstände zwischen diesen Treppenabschnitten betragen etwa das Doppelte eines Stufenauftritts. (Abweichend vom Modell und allen anderen Darstellungen ist in den Längsschnitten direkt vor der Wand noch eine weitere einzelne Stufe dargestellt, die aber zu nichts führt. Wer diese betreten würde, stößt mit der Nasenspitze an die Rückwand der Chornische. Eine solche Einzelstufe böte auch keinen Standplatz für Chormitglieder. Deshalb wird entsprechend der überwiegenden Darstellung im Wettbewerbsbeitrag bei der näheren Betrachtung von 12 Steigungen ausgegangen.) 
Massives Chorpodest in der Mittelnische neben dem Portikus _Ausschnitt aus dem Grundriss des Erdgeschosses
Mit einem Pfeil wird der Abgang zur Unterkirche nur angedeutet, aber nicht dargestellt, wie im EG-Plan erforderlich
Die Höhen sind nicht bemaßt, aber die Pläne müssen lt. Wettbewerbsordnung maßstabgerecht sein. Deshalb lässt sich der Inhalt des Dargestellten ermitteln. Der Steigungswinkel der Einzelstufen im Chorpodest erscheint gleich oder geringfügig flacher, durch die kleinen Zwischenpodeste wird die Treppe insgesamt flacher.

Steigungshöhe und Auftrittstiefe
(Allgemeine Erläuterung)
Damit ist die Steigungshöhe jeder Einzelstufe nicht größer als die der oben betrachteten Treppe zur Taufkapelle.
12 Steigungen von je 17,5 cm ergeben eine Höhe des obersten Chorpodestes von 2,10 m. Die Decke unterhalb des Chorpodests (bestehend aus Betondecke, Schall- und Wärmeschutz und Fußbodenaufbau) hat üblicherweise eine Höhe von 25 - 33 cm. 
Lichte Durchgangshöhe bei Treppen
(Allgemeine Erläuterung)
Bei angenommener Deckenhöhe von 30 cm bleibt für den Treppenabgang zur Taufkapelle eine lichte Kopfhöhe von 1,80 m.
Fazit: Treppenabgang hat keine ausreichende Kopfhöhe

Damit unterschreitet die Kopfhöhe das hierfür gültige bauordnungsrechtliche Mindestmaß von 2,00 m, das bei unbedeutenden Nebennutzungen bei begrenztem Nutzerkreis vor Kopfverletzungen schützen soll. Möglicherweise erklärt sich die nur in den Längsschnitten dargestellte nutzlose Zusatzstufe als Versuch, die Kopfhöhe um ca. 18 cm auf 1,98 cm zu erhöhen. Es wirkt jedoch wie ein Griff in die Trickkiste, wenn alle anderen Zeichnungen eine derartige Stufe nicht vorsehen. Unabhängig davon bleibt die Kopfhöhe unter dem Mindestmaß von 2,00 m und würde bei einer bauordnungsrechtlichen Prüfung nicht genehmigt werden.
Fazit: Treppenabgang ist nicht genehmigungsfähig

Bei der Kathedrale des Erzbistums Berlin geht es jedoch nicht um bauordnungsrechtliche Mindestanforderungen. Was wäre gewonnen, wenn mit besonderen Materialien noch ein paar Zentimeter herausgeholt werden könnten?
Der öffentlich nutzbare Zugang zur Taufkapelle sollte würdevoll und beeindruckend gestaltet werden. Das ist beim ausgestellten Entwurf des Wettbewerbssiegers nicht der Fall. Die Besucher einer Taufzeremonie würden mit eingezogenem Kopf zur Kapelle hinabsteigen und könnten Vergleiche mit alten Treppen zu Kohlen- und Kartoffelkellern anstellen.
Bei einer vertiefenden Ausarbeitung würde der Treppenabgang grundsätzlich geändert werden, da er in der dargestellten Form inakzeptabel ist.
Fazit: Treppenabgang ist zu niedrig und der Öffentlichkeit nicht zuzumuten


Orgelempore, Unterkirche und dazwischen das Chorpodest, unter dem die Treppe keine Raum findet _Querschnitt-Nord

Das Problem liegt in der funktionellen Überfrachtung der Achse des Mitteleingangs zur Kathedrale. Um eine weiträumige Gestaltung von Kuppelraum und Eingangsfoyer erscheinen zu lassen, wurden gleich drei erforderliche Volumenanforderungen auf zu engem Raum übereinander gestapelt: 
– eine neue große Orgel auf weit ausladender Orgelempore
– eine massive steile Schrägdecke für drei Chorpodeste mit mittiger Treppe
– eine steiler Treppenabgang zur Taufkapelle unter den Chorpodesten
Wie es dargestellt wurde, funktioniert es nicht. Geringfügige Veränderungen können in dem für diese drei Funktionen vorgesehenen begrenzten Areal keine Lösung herbeiführen.
Entweder beginnt die Kellertreppe mitten im Eingangsfoyer, oder das Chorpodest ragt in die kreisförmige Gestalt des Hauptraumes hinein. Dazu müsste aber die Orgelempore weiter angehoben werden, wodurch für die längsten Orgelpfeifen in der Mittelachse die Höhe fehlen würde.
Fazit: Der Siegerentwurf zeigt keine Lösung für Orgel, Chor und Abgang

"Da wird sich doch später immer noch eine Lösung finden." So werden viele verständnisvolle Laien reagieren. Schließlich ist doch gerade diesem Entwurf der erste Preis von einer Jury zuerkannt worden. "Dann wird es schon in Ordnung sein."
Ganz so einfach ist es nicht, denn der Wettbewerb zieht Rechte für den Sieger nach sich, die für das Erzbistum hohen Kosten verursachen, die nachträglich kaum abwendbar sind.
Deshalb ist genau zu prüfen, ob wirklich alles der Ordnung entspricht.

Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht

Ein solcher offener Realisierungswettbewerb (Gesamtkosten ca. 800.000 € mit einer Preisgeldsumme von 270.500 €) ist durch eine Wettbewerbsordnung (RPW 2013) geregelt. Nur unter Einhaltung der Regelungen kann ein gültiges und rechtsverbindliches Ergebnis erzielt werden.
Die Beiträge, die nicht der Wettbewerbsauslobung entsprechen oder unvollständig sind, können nicht berücksichtigt werden. Nicht fristgerecht eingereichte Beiträge dürfen bei der Prüfung ebenfalls nicht einbezogen werden.
Ein Wettbewerbsbeitrag, der keine vollständige und funktionsfähige Lösung für die Anforderungen der Auslobung böte, wäre ebenso auszuschließen, wie einer, der erst nach Fristablauf und Jurysitzung eine Lösung für ein grundsätzliches Anforderungsproblem nachlieferte. Alle übrigen konkurrierenden Mitstreiter des Wettbewerbs wären unrechtmäßig benachteiligt, wenn ihnen ein unvollständiger oder nachzubessernder Beitrag vorgezogen würde. Viele Architekten rangen um die beste Verbindung von Ober- und Unterkirche, die im  denkmalgeschützten Bestand vielfach als "Loch" verunglimpft wurde. 
Im Siegerentwurf wurde dem Betrachter die vermeintliche Weiträumigkeit von Kirchenraum und Eingangsfoyer dadurch simuliert, dass die lästige Treppenfrage zur Unterkirche einfach durch ein Modell aus Liliput gelöst erscheint. (Doch das ist  kein Scherz.) Ein nicht funktionsfähiges, aber platzsparendes Mini-Treppchen wird erst einmal dargestellt. 
Die Darstellung des oberen Endes der Kellertreppe, die eigentlich in einen EG-Grundriss gehört, hier aber unterlassen wurde, hätte den Fehler offenbart. Wenn es niemand merkt, sieht das Übrige großzügig aus. Die vertrauensvolle Jury setzte sicher auf die Loyalität der Kollegen und Fachleute.
(Siehe dazu auch den früheren Blog-Beitrag zur Rechtmäßigkeit dieses Entwurf, der nicht der Auslobung entspricht:
Mittiger Altar entgegen Auslobung - Klage möglich)

Fazit: Die Zulassung des Beitrag des Siegers ist wettbewerbsrechtlich fragwürdig

Die Hoffnungen vieler Gläubigen liegen auf dem erwarteten neuen Erzbischof, der mit Gottes Hilfe nach ruhiger Bewertung eine gut abgewogene Entscheidung zum Wohle seiner Diözese treffen wird.

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